........Pause........................................................................................................Photoalbum Teil 2..................zurück zu Teil 1 Es ist Dienstag, der 23. August 2011, seit heute morgen befindet sich mein Vater in der Kurzzeitpflege, damit meine Mutter wieder zu Kräften kommen kann. Um bei Bedarf schneller zu Hause zu sein, werde ich morgen früh mein Auto in Lüneburg bei den gelben Engeln abstellen und meine Radtour über Rügen und Usedom nach Berlin fortsetzen. Ich bin gespannt und freue mich riesig aufs Brandenburger Tor, auf Strand, Sand und Sonne, auf neue Erfahrungen, Seen, Wölfe, Hexen, Gespenster und Rückenwind. Ich freue mich, die Veränderung der Landschaft wieder zu fühlen und mit fremden Menschen in Kontakt zu sein. Ich möchte Freunde besuchen und habe endlich mal 16 Tage Zeit am Stück bis ich Papa wieder abhole, ihn nach Hause begleite und ihm sicher wieder vieles von meiner Reise durch „unserer Mütter und Väter Land“ erzählen kann. 2. Teil von Lüneburg nach Usedom gefahrene Strecke der neunte Tag, Grenz-Erfahrung Lüneburg - Döbbersen 87 km, 90 hm, Sonnenschein In Lüneburg kaufe ich mir am Bahnhof noch einen neuen Seitenständer, da sich mein Rad doch vor dem eigenen Gewicht sehr verneigt, packe es wie gewohnt mit 27 kg voll, halte noch ein Schwätzchen beim ADAC und singe ein paar Liedchen auf dem Weg Richtung Schiffshebewerk Scharnebeck, das sicher bald wieder richtig funktionieren wird. Auf der linken Seite folge ich dem Elbe-Seitenkanal bis zur Mündung bei Artlenburg, wobei ich die letzte Brücke rechts über den Kanal verpasse. Immer noch mit meinen Gedanken zu Hause mache ich erst mal Rast hier am linken Ufer der Elbe. Papa flüchtete im Frühjahr 1945 vor den Russen und schwamm durch diesen Fluss, weiter südöstlich bei Wittenberg/Lutherstadt, den Amerikanern in die Arme. Was wäre wohl heute, wenn er das nicht getan hätte? In Lauenburg überquere ich die Elbe und kurze Zeit später quere ich die alte deutsch-deutsche Grenze zum ersten Mal. Der EDDG-Radfernweg „Ehemalige-Deutsch-Deutsche-Grenze“ führt mich nach Bickhusen, dem ersten Dorf in Mecklenburg-Vorpommern. Hier und im weiteren Verlauf der Reise ich bin fassungslos über die Anzahl der NPD Plakate, die anlässlich der kommenden Landtagswahl, an fast jeder Straßenlaterne hängen. In den Dörfern fällt mir das besonders auf. Am Museum Tor-21 bei Leisterförde nutze ich die Gelegenheit innezuhalten und fühle mich doch so erleichtert, dass die Zeit der Wachtürme und der Todesstreifen vorbei ist. Eine der menschenfeindlichsten Grenzen auf dieser Welt hat ihren Schrecken verloren, weil hunderttausende mutig und gegen jede Erfahrung aufgestanden sind, um diese Mauer zu stürzen. Ich treffe ein älteres Ehepaar, das ebenfalls mit dem Rad unterwegs ist. Sie erzählt mir, dass sie die alte Grenze erkunden und dabei nur die Feldwege lang fahren. Ja, sie sei damals hier in den Westen geflohen. Ich mache noch ein paar Photos und frage ich mich auf dem weiteren Weg, wie flüchtende DDR-Bürger unbemerkt in dieses fast menschenleere Gebiet kommen konnten, welche Ängste sie auf den Feldern und in den Wäldern gehabt haben müssen, entdeckt zu werden. Es gab keine genauen Karten und schon gar kein GPS. Die, die den Mut hatten, die es versucht haben, wurden, wenn sie nicht erschossen wurden, anschliessend eingesperrt, jahrelang gequält und viele von ihnen anschließend gegen westliche Devisen verkauft. aktuell Ich bin ja eher geneigt, die Klappe zu halten, mich auf die Beschreibung der einsamen und wunderschönen Natur mit einer gewissen Selbstironie zu beschränken, aber mir reicht das nicht immer und jetzt schon gar nicht, wenn ich mit der Nase davor stehe. Meines Erachtens ist es wichtig, geschehenes Unrecht zu benennen, wenn man es in Zukunft vermeiden will. Ansonsten beginne ich langsam, mich in meinem ambivalenten Zustand an den wechselhaften Straßenbelägen zu erfreuen. Zwischen den Dörfern gibt es oft Asphalt, meistens aber Sand oder Pflaster, auch manchmal Pflaster unter Sand und im Dorf immer Kopfsteinpflaster. Es ist gar nicht so schlimm, oft gibt es eine beiläufige Sandspur und außerdem habe ich Zeit. Wäre ja furchtbar wenn alles nur schwarz geleckt aussähe. Vor Zarentin am Schaalsee rufe ich einen alten Kollegen an. Er wohnt in Döbbersen, lacht sich tot, als er meine Stimme hört und stellt schon mal Bier kalt. Der Weg dorthin führt mich über Bentin und Neuhof erstmal nach Drönnewitz. Ein Sandweg mit hinterlistig verstecktem Pflaster! Du schwitzt und eierst rum und gleichzeitig brennt dir der beißende Geruch der Schweinegülle - links und rechts auf den Feldern - die Schleimhäute weg. Oh wie schön ist Panama. Im schönen Döbbersen gibt es einen feuchtfröhlich-herzlichen Abend mit dem leckeren schwarzen Sternburger aus dem Brauhaus zu Reudnitz und in dem guten Gefühl auch nach 25 Jahren noch willkommen zu sein, schlafe ich ganz hervorragend. der zehnte Tag, „wo ist denn hier bitte der nächste Zigarettenautomat?“ Döbbersen Schwerin 46 km, 110 hm, Sonnenschein Schon wieder in netter Gesellschaft gefrühstückt! Mein Kumpel erzählt mir noch einiges von seiner Geschichte nach der Wende im Dorf und dass es hier keine Rechtsradikalen geschafft haben, Fuß zu fassen. Wir verabschieden uns mit dem festen Versprechen, keine weiteren 25 Jahre bis zum Wiedersehen zu warten. Boddin, Perlin, Gross Welzin. Nirgendwo gibt es Zigaretten zu kaufen. Selbst in Gottesgabe finde ich nichts, habe mich jedoch mittlerweile damit abgefunden. Nur manchmal träume ich von einer Tankstellen-App auf meinem Nokia 6310i. Dass ich deswegen mein Notebook rauskrame ist mir aber auch zu blöde. Bei Neumühle, kurz vor Schwerin, rettet mich eine blaue Tanke und in Schwerin gibt es Mittagessen mit Blick aufs Schloss. Dass hier 2 Gläser Apfelschorle genauso teuer sind, wie das üppige Essen ärgert mich. Ab heute werde ich mein Wasser vor dem Restaurantbesuch leer trinken. Die Wege bis hier waren heute wie gestern. Ich mag das, auch wenn’s mich durchrumpelt. Der Brooks jedenfalls hält mich aus und, wenn ich manch unbequemen Weg nicht vertrage, dann vertrage ich auch die Menschen nicht, dann brauch ich auch morgens nicht mehr aufzustehen. Schwerin ist klasse und gefällt mir mit seiner Lage am See richtig gut. Dass im Landtag die Braunen sitzen verdränge ich dabei. Der Kellner empfiehlt mir noch den Campingplatz Retgendorf. Am Hafen spricht der Düsseldorfer Yachtie „kenn ich nicht“. Macht nix, ich fahre und halte mich an einen Trupp Radfahrer, die auch dorthin wollen und finde einen Traumplatz direkt am See. Die Duschen sind, wie ich es mag. Riiiiiiiiiesig. 5 Stück nebeneinander und Platz für die frischen Klamotten. Der Abend endet im nahe gelegenen Restaurant des Ferienparks Retgendorf mit Zander Filet im Speckmantel und den immer wieder schmackhaften Bratkartoffeln. So kann es bleiben, so geht’s mir gut. der elfte Tag, der letzte Tag des Sommers Retgendorf Heidekaten 42 km, 130 hm, Sonnenschein Das seitliche Rauskugeln aus dem Zelt kann zu Kollateralschäden des hochgezogenen Zeltbodens führen und ist nicht empfehlenswert. Den Sonnengruß verschiebe ich auf morgen und ein Blick auf die Karte verspricht mir für die nächsten 15 km rote Punkte. Gut befahrbare Sand und Waldwege führen mich über Flessenow, Hohen Vliecheln, Moltow nach Dorf Mecklenburg. Der Weg weiter nach Wismar ist trotz „angekündigter Sprengarbeiten“ frei und durchgehend asphaltiert. Der Ostsee-Radweg Richtung Poel enttäuscht mich dagegen auf ganzer Linie. Auf der Karte führt er noch über die Dörfer Müggenburg und Krusenhagen. Ausgeschildert ist er aber am Meer entlang. Ich komme mir vor wie auf einer A 20 für Fahrradfahrer. Mindestgeschwindigkeit 20 km/h. Ich vermisse den Sand, vermisse das Pflaster, vermisse das alte Mecklenburg. Meinen Sandweg finde ich wieder in Heidekaten. Eine Häuseransammlung mit Künstlern und einer ehemaligen Studentin, die bei mir gearbeitet hat. Vor 18 Jahren ist Andrea hierhin gezogen und hat sich eine Töpferwerkstatt nebst Familie aufgebaut. Seitdem haben wir uns nicht mehr gesehen. Ich freu mich über ihr Lachen, als sie mich sieht. “Du hast dich ja gar nicht verändert! Nein, und Du schon gar nicht!“ Erst gibt es Kuchen und später Gegrilltes am großen Lagerfeuer. Mit Bier und Wein und anderen Freunden verbringen wir einen schönen Abend, sehen um uns herum das Wetter leuchten, hören alle Mähdrescher in der Umgebung gleichzeitig bis kurz vor Mitternacht. Dann ist es plötzlich still bis es so richtig loskracht. Wetterumschwung mit Blitz, Donner und offenen Himmelsschleusen. Kann kaum schlafen im Zelt, es ist einfach zu schön hier im Dröhnen des Donners so nah an der Natur, hell erleuchtet im gelben Zelt. der zwölfte Tag, endlich am Meer Heidekaten Kühlungsborn 35 km, 61 hm, Regen Gemeinsam am Frühstückstisch die Brötchen zu kauen, hat wirklich Charme. Als ich dann endlich um 11:00 Uhr loskomme, bemerke ich, dass das Hinterrad wegrutscht. Da hat sich doch so ein blöder Dorn durch die plattensichere Schwalbe gebohrt. Der erste Plattfuss nach insgesamt 2.550 km. Das dauert natürlich und als ich endlich losfahre, fängt es wieder richtig an zu schütten bei gefühlten 12°. Irgendwo am Salzhaff warnt mich ein voll gepackter Radler vor den Wäldern am Ostseebad Nienhagen, da sei alles überschwemmt, ein Durchkommen unmöglich. Er findet den Ostsee-Radweg übrigens auch bescheiden. Sollte es im Dauerregen auch noch gespenstisch werden? In Meschendorf sehe ich dann erstmalig die Ostsee, so wie ich sie mir seit Kindertagen vorstelle. Es ist für mich ein geiles Gefühl, den Weg von Neuss hierhin mit dem Fahrrad geschafft zu haben. Zur Belohnung blinzelt die Sonne ein wenig durch die Wolken. Mittagspause. Die Nacktbadenden können mich nicht davon überzeugen, in dieses kalte Wasser zu springen. Ich hocke am Strand, schaue in den Horizont und höre den Wind. Dabei fehlt mir eigentlich nur noch ein Grashalm zum Kauen. Es bleibt kalt. In Kühlungsborn suche ich ein Zimmer und finde eine komplette 2-Zimmer Ferienwohnung für eine Nacht und für mich alleine. Auch nicht schlecht hier. Auch nicht ganz billig. Egal, ich habe ein wenig gefeilscht und mitleidig aus den Regenklamotten geblinzelt. Auf der Suche nach einem geeigneten Abendessen fühle ich mich ins Disney-Land versetzt. Neue unwirkliche Häuser, nichts stimmt in diesem Sammelsurium mediterraner hellblau-ocker-gelber Architektursauce hier im Kühlungsborner Westen, mittendrin im Steuerabschreibmodell westdeutscher Zahnarztgattinnen der neunziger Jahre. Kalt und zugig ist es hier. Doch im Fisch-Hus gefällt es mir und den sehr unterhaltsamen Tischnachbarinnen aus Düsseldorf sehr gut. Der Abendspaziergang am Strand und zurück, vorbei an den Jugendstilvillen, gibt mir dann doch das angenehme Gefühl in einem Seebad mit alter Tradition zu sein. Ich halte meine Hand noch ins Meer und fühle mich mit der ganzen Welt verbunden. (alte kroatische Weisheit) der 13. Tag, endlich verschlammte Wälder Kühlungsborn Ahrenshoop Ortsteil Niehagen 71 km, 39 hm, trocken Schon vor Monaten entdeckte ich im Internet den Gespensterwald. Da wollte ich unbedingt hin. Die Vorstellung mit Geistern und Hexen im Nebel zu tanzen war zu verführerisch. Es hat sich wirklich gelohnt, auch wenn es gar nicht neblig war. Warnungen anderer Radfahrer halten mich nicht ab. Ich muss da durch. Der erste Wald vor Heiligendamm ist matschig, doch zum Teil über Bretter gut befahrbar. Ich fühle mich tatsächlich wieder als Kind, fahre jauchzend durch die Pfützen und habe richtig Spaß daran, mich aufrecht auf der Fuhre zu halten und nicht umzukippen. Heute spielt aber auch das trockene Wetter mit und die Sonne lässt die weissen Häuser von Heiligendamm im neuen Glanz erstrahlen. Der eigentliche Gespensterwald, zwischen Heiligendamm und dem Ostseebad Nienhagen, ist eher weitläufig und so verlieren sich die Spuren von Conti & Co. irgendwie zwischen den Bäumen und Hexen in den nicht einschätzbaren Wasserlöchern. Ein bisschen Schieben mit dem Blick auf die Ostsee gehört dazu und der Schlamm an den Waden ist irgendwann auch wieder trocken. Ich bin sehr überrascht über den Schwalbe Supreme, dass er mir genügend Halt bietet. Aber ich hab ja auch nicht so ein Pfund in den Beinen, wie so viele andere hier. Nach Nienhagen ist dann aber doch Schluss mit lustig, denn die Mecklenburger Seenplatte hab ich irgendwo südlicher auf dem Radar und meinen Spass hab ich gehabt. Über Elmenhorst erreiche ich Warnemünde, ärgere mich über die Beschilderung des Ostsee-Radwegs DURCH den Bahnhof, denn das geht gar nicht mit dem 50 kg schweren Rad-Reise-Dampfer. . Es ist tierisch voll hier. So viele Menschen. Bloß wegen der AIDA? Kreuzfahrertreffen? Hinter Graal-Müritz treffe ich im tiefen Wald einen Schweizer. Mein Gott, hat der Kraft in den Waden. Er fährt jeden Tag über 100 km. Ich streng mich richtig an und wir fahren bis Ahrenshoop. Augen immer geradeaus, schnell, schneller brrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr. Eigentlich wollte ich heute noch nach Zingst, verschiebe das aber auf morgen und finde im beginnenden Regen mit Hilfe der Zimmervermittlung eine wunderschöne Pension, die der Familie Bradhering schon immer gehört. Im gegenüberliegenden Gasthof bekomme ich drei statt der üblichen zwei Bratheringe. Vielleicht liegt es ja daran, dass ich so ein entspanntes Gesicht mache? Das ist auch einfach, denn hier in der Stube gibt es noch richtige Fischer und Feste und Hochzeiten und Geschichten aus dem Dorf am Saaler Bodden, die mindestens über 3 Tische hinweg für alle erzählt werden. Raucher sind eben kommunikative Menschen! Zudem dürfe ich auf gar keinen Fall den Darßer Urwald verpassen. Mücken? Mücken beißen doch nicht! der 14. Tag, Mücken beißen wirklich nicht Ahrenshoop Ortsteil Niehagen - Zingst 37 km, 33 hm, wechselhaft Was für ein Frühstück und welch herzliche Atmosphäre bei Familie Bradhering! Im Darßer Wald hat es die letzten Wochen andauernd und auf das heftigste geregnet. Es ist kühl und heute ist es trocken. Die lange Regenhose stört nicht wirklich und der zur autonomen Gesichtsmaske umfunktionierte Buff hält die Atemwege frei. Pause machen geht hier gar nicht auf den Waldwegen. Nur ein Photo und ganz schnell weg, weg vor dieser Mückenbrut. So bin ich fast zum Nichtraucher mutiert, als ich die letzten Meter auf Kopfsteinpflastermarterstrecke zum Leuchtturm runter holpere und meinem Zahnarzt und seinen Technikern von Herzen danke. Hier muss ich noch mal hin. Nicht nur, weil der Holzweg am Darßer Ort überschwemmt ist, sondern weil ich auch von der „Großen Buchhorster Maase“ im Wald keine Ahnung habe. Im September oder Oktober ist Hirschbrunft, und da wäre ich gerne dabei. Völlig unsinniger Stress erklimmt mich auf dem weiteren Weg nach Prerow. Das Gefühl, dass ich zuviel Zeit verliere, zu wenig km mache, es nicht mehr rechtzeitig nach Berlin schaffe, wenn ich noch über Hiddensee und Rügen und Usedom und Klein Jasedow und und und fahren möchte, lässt mich einfach nicht los. Immer wieder, wenn das Telefon klingelt, zucke ich zusammen. Dieses Mal ist es die Stationsschwester des Altenheims „nein, es sei nichts Schlimmes passiert, sie wollten nur fragen, ob........“ Ich spreche mit Papa und rufe Mama an. Doch ja, es scheint alles bestens zu sein und es hilft mir, ihn in guten Händen zu wissen. Trotzdem bin ich traurig. Papa hat immer alles geregelt, sich immer gekümmert und alles gemacht. Dass ihm das schon so lange nicht mehr möglich ist, tut mir einfach weh. Dass es immer dann wie aus Eimern schüttet, wenn ich ein Zimmer suche, kenne ich mittlerweile. 3x Steigenberger in Zingst ist mir aber zu teuer, ich wähle die JH mit Abendessen um 18:00 Uhr, Frühstück ab 07:30 Uhr, Betten 90 x190 und einen Heizraum für mein nasses Zelt. Ich bin zufrieden, erkunde die Seebrücke, denke an "Barfußschlumpf" und "Claudius" , kaufe mir eine warme Jeans und friere trotzdem wie ein Schneider beim späten Mojito. Hoffentlich ist das Wetter morgen besser, wenn ich mit der Fähre nach Hiddensee schippere. der 15. Tag, ich bin nicht faul und nehme die Fähre Zingst Hiddensee Lohme/Rügen 37 km, 33 hm, wechselhaft 190 cm Bettlänge reichen mir. Es ist trocken und die 3-stündige Seefahrt nach Hiddensee mit den anderen 4 voll bepackten Reiseradlern ist lustig. Ob die richtige Übersetzung für Radfahrerlatein wohl „fabula rotare“ ist? Die Fahrt durch das Naturschutzgebiet Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft ist einmalig schön und eine lohnende Ergänzung des Ostsee-Radweges. Auf Hiddensee steige ich ins Wassertaxi nach Wiek auf Rügen. Diesmal bleibe ich unter Deck. Es regnet wieder bei 11°. Kap Arkona streiche ich vom Programm. Der Kreidefelsen bleibt Pflicht. Bis Glowe bleibt alles entspannend. Dann lerne ich die Rügener Berge kennen. Heidenei, die guten 140 kg gehen mir Flachlandtiroler ganz schön in die Knochen und ich keuche fluchend die Hügel hoch. Mental stampfe ich dabei mit jedem Tritt den Berg 2" flacher. Geht doch, ja ja Die Ängste über Rentner in Wohnmobilen, die mir zu nah kommen könnten, lösen sich in Luft auf. Alle fahren mit dem nötigen Abstand neben mit her. Das gilt übrigens für die gesamte Strecke von Anfang an. Lohme mit seinem hinreisenden Seglerhafen gefällt mir so gut, dass ich bleibe und sogar noch die 227 Stufen runter zu diesem zauberhaften Café Niedlich und zum Steg in den Sonnenuntergang laufe. Vor ein paar Jahren wäre der Steilhang in Lohme fast ganz abgerutscht und hätte die Idylle unter sich begraben. Mit Hilfe neuartiger Techniken konnte der Hang stabilisiert werden. Hoffentlich hält er, es wäre zu schade um diesen Platz. Die Visitenkarte vom Restaurant habe ich behalten, die von meinem Quartier entsorgt. Irgendwie steht für den Namen des Restaurants in meinen Notizen „der Tempel der Völlerei“ Es wird schon stimmen, wenn’s da steht. der 16. Tag, 31. August 2011 Lohme/Rügen - Peenemünde 36 km, 133 hm Da fragt mich doch diese Xanthippe beim Frühstück, wieso ich 2 Teller nehme, schließlich habe ich ja nur einen bezahlt. Ich hasse diese Unverfrorenheiten, wenn sie nicht vom Köbes kommen, aber wahrscheinlich sollte es ja nur ein Witz sein, den ich Dummkopf nicht verstanden habe. Mit Blick auf das Hotel Schloss Ranzow, da hätte ich mir bestimmt 25 Teller nehmen können, hacke ich mir erstmal mit den Pedalen den Berg kleiner, der hoch zum Königsstuhl über ehemalige gepflasterte Kutschenwege führt. Hier im Wald setze ich mir die Kopfhörer auf. Ich hab Bock auf Paolo Conte und seinem roten Teufel. Diavolo Rosso bietet mir genau die Dröhnung, die ich jetzt so richtig laut brauche. Herrlich! Ich liebe diesen Lionel Messi des Kammblasens. Der Eintritt zum Königsstuhl kostet 6,- Euro und nur mal kurz für ein Photo - auch. Ich wandere zum kostenlosen Aussichtspunkt, dorthin, von wo alle photographieren und frage mich, womit ich es nur verdient habe im strömenden Regen weiter nach Sassnitz radeln zu müssen. Nur bergab geht das nämlich auch nicht. Dort erfahre ich im Touristenbüro, dass um 15:00 Uhr eine Fähre von Binz nach Peenemünde fährt. Die nehme ich und verabrede mich für den Abend mit einer Freundin in Klein-Jasedow. Sie wird mich in Hohendorf abholen. Bis dorthin kann ich von Peenemünde mit dem Zug fahren. Eher gemütlich radle ich nach Binz, schau mir die Größenphantasien der Nazis in Prora an und knipse noch ein Photo für Falk, das er bestimmt schon hundertmal gesehen hat. Über die Promenade in Binz schiebe ich mein Rad und lerne, dass ich hier vor dem Essen nicht beten muss. Viel zu früh auf der Seebrücke, warte ich schlotternd aufs Schiff und freu mich, Martina zu treffen. Auf der Fähre teile ich mir mit einem Schweizer Ehepaar den Tisch und hoffe dabei inständig, dass mein Geruch nicht allzu sehr stört. Zwischendurch schreibe ich Tagebuch, guck auf den Horizont, bewundere die Küste von Rügen und ein rotes Velotraum, verdrücke mal wieder „lecker“ Apfelkuchen und denke doch mit ein wenig Schadenfreude an die Radler, die sich auf der Strecke an Land über die üblen 15 km Kopfsteinpflaster quälen. In Peenemünde finde ich den Bahnhof nur, weil mir der freundliche Schwabe mit dem Velotraum die Strecke zeigt. Wir scherzen noch miteinander und wünschen uns winkend gute Fahrt. Um 18:11 Uhr erreicht mich die schmerzvolle Nachricht vom Tod meines Vaters hier in Peenemünde am Bahnsteig. Im Abschied von ihm habe ich beschlossen, diese Tour von hier über Berlin nach Wittenberg/Lutherstadt im nächsten Jahr fortzusetzen. Er hätte es sich sicher gewünscht. ........Danke............................................................................................................... Danke an die, die mich unterstützten und die mir Mut machten, diesen Text hier und in dieser Form zu veröffentlichen. Danke an meine Familie und meine Freunde, die mir in der schwierigen Zeit den Rücken gestärkt haben und den notwendigen Freiraum ermöglichten. Der größte Dank aber gilt meiner Mutter, die meinem Vater mit großer Liebe das Heim ersparen konnte. Sie hat diesen Bericht mit vollster Zustimmung gelesen und ist sehr berührt. Jürgen .................................................................................................................................................................................nach oben Ich habe diesen Bericht auch im Radreise Forum veröffentlicht. Dort sind sehr viele lesenswerte Antworten geschrieben. |
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